Klimawandel, Klimakrise, Klimarettung

Der Wettlauf gegen die Erderwärmung.

Das Weltklima verändert sich zurzeit im Eiltempo. Ein deutliches Zeichen dafür ist die rasant steigende Weltmitteltemperatur.

Fachleute sprechen vom Klima, wenn sie Wetterdaten über einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren betrachten. Wie rasant also hat sich die globale Durchschnittstemperatur im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte verändert?

Zuerst ein Blick auf die Gesamtbilanz der Erderwärmung: Laut dem kalifornischen Klimaanalyse-Institut Berkeley Earth hat sich die Durchschnittstemperatur auf der Erdoberfläche seit der Zeit der Hochindustrialisierung (1850-1900) um 1,3 Grad Celsius erhöht.

Diesen Temperaturanstieg hält auch die Weltwetterorganisation WMO für möglich – allerdings als Maximalwert einer Temperaturspanne. Laut ihrem im September 2022 vorgelegten Bericht „United in Science“ lag die globale Durchschnittstemperatur der Jahre 2018-2022 zwischen 1,04 und 1,3 Grad höher als 1850-1900.

Klimaforscher*innen des Environmental Change Institute der Universität Oxford kommen zu einem berechneten Ergebnis. Sie haben ein Klimamodell entwickelt, das eine Echtzeit-Hochrechnung der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung erlaubt. Den menschengemachten Anstieg der Weltmitteltemperatur verortet das Modell aktuell bei 1,27 Grad Celsius.

Was die Zahlen des gesamten Temperaturanstiegs verbergen: Gut die Hälfte der globalen Erwärmung geht auf das Konto der letzten drei Jahrzehnte. Seit Beginn der 1990er-Jahre ist es im Weltmittel um 0,6 bis 0,7 Grad Celsius wärmer geworden. Das belegen Klimadatensätze renommierter Klimaforschungsdienste wie etwa der US-amerikanischen Klimabehörde NOAA und des britischen Hadley Centre.

Damit hat sich die Erdatmosphäre in den letzten rund 30 Jahren ebenso stark erwärmt wie in den über 100 Jahren davor. Global gesehen ist der Klimawandel nach 1990 sämtlichen Klimaschutzanstrengungen quasi auf und davon gelaufen.

Kohlenstoffdioxid – bei erhöhter Konzentration ein Klimagift

Seit Anfang der 1990er-Jahre nahm auch der weltweite Kohlenstoffdioxid-Ausstoß kräftig zu. Die CO2-Emissionen aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas erhöhten sich von 22,6 Milliarden Tonnen im Jahr 1990 auf vorläufig noch geschätzte 37,5 Milliarden Tonnen im vergangenen Jahr.

Der Anstieg der CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre gilt als Haupttreiber des Klimawandels. CO2 aus fossiler Verbrennung trägt zu etwa zwei Dritteln zur globalen Erwärmung bei.

Menge und Wachstum sämtlicher seit Mitte des 19. Jahrhunderts vom Menschen verursachten CO2-Emissionen spiegeln sich erstaunlich genau in der Zunahme des CO2-Gehalts der Atmosphäre wider. Der CO2-Anteil von 285 ppm (parts per million) um 1850 stieg zunächst viele Jahrzehnte lang ganz langsam und dann immer flotter auf 353 ppm im Jahr 1990. Das bedeutet eine Zunahme von 68 ppm in 140 Jahren.

Nach 1990 nahm der CO2-Anstieg dann richtig Tempo auf und erreichte 419 ppm zu Jahresbeginn 2023 – ein Plus von 66 ppm. Der CO2-Anteil in der Erdatmosphäre hat sich damit in den letzten drei Jahrzehnten fast genauso stark erhöht wie im Zeitraum von 1850 bis 1990.

Zum beschleunigten Anstieg der CO2-Konzentration seit 1990 passt, dass laut der Webseite climatewatchdata.org mehr als die Hälfte aller CO2-Treibhausgase nach 1990 in die Atmosphäre befördert wurde. Damit ist heute jedes zweite CO2-Molekül in der Erdatmosphäre, das aus Verbrennungsprozessen fossiler Energieträger stammt, nicht älter als höchstens 30 Jahre.

Der von Jahr zu Jahr stärker spürbare Klimawandel ist deshalb weniger das Ergebnis einer langen historischen Entwicklung seit Beginn des Industriezeitalters, sondern er beruht hauptsächlich auf den globalen CO2-Emissionen der letzten drei Jahrzehnte.

Die rasant gestiegenen Celsius- und CO2-Zahlen nach 1990 zeigen: Innerhalb von nur einer Generation hat die Menschheit es geschafft, das seit über 10 000 Jahren weitgehend stabile Klimasystem der Erde ins Wanken zu bringen – mit Folgen wie etwa immer häufiger auftretenden Extremwetterlagen, fortschreitenden regionalen Klimaveränderungen und zunehmend wahrscheinlichen Klimakipppunkten.

Methan – hohe Zuwächse beim zweitwichtigsten Treibhausgas

Nicht nur die heute erreichte CO2-Konzentration in der Atmosphäre lässt darauf schließen, dass die globale Klimastabilität angeschlagen ist. Auch der Anteil des Treibhausgases Methan (CH4) wächst seit mehr als einem Jahrzehnt ungewöhnlich stark – in den Jahren 2020 und 2021 sogar in Rekordgeschwindigkeit.

Vom Menschen verursachte Methangasemissionen sind nach Kohlenstoffdioxid der zweitstärkste Motor der Erderwärmung. Das Spurengas trägt nach dem gegenwärtigen Stand der Klimaforschung mit 16 Prozent zur aktuellen globalen Erwärmung bei. Die wichtigsten Quellen von Methan-Treibhausgasen sind die Kohle-, Öl- und Gasförderung sowie die Landwirtschaft, insbesondere die Tierzucht. Auch Feuchtgebiete können Methan ausstoßen.

Methan ist als Treibhausgas besonders effektiv. Es wirkt mehr als 80-mal stärker als CO2, bezogen auf die ersten 20 Jahre nach seiner Freisetzung.

Im Frühjahr 2022 meldete die US-Klimabehörde NOAA bei der Zunahme der Methan-Konzentration zum zweiten Mal hintereinander einen neuen Allzeitrekord. Dem Rekordzuwachs bei diesem Treibhausgas im Jahr 2020 folgte 2021 ein noch höherer Anstieg. Insgesamt hat sich seit Beginn der Industrialisierung der Anteil von Methan in der Erdatmosphäre um fast zwei Drittel erhöht.

Zwar sind seit 2021 rund 120 Länder dem Abkommen „Global Methane Pledge“ beigetreten, das die Reduzierung der weltweiten Methan-Emissionen um 30 Prozent bis 2030 anstrebt. Russland, Indien und China als Top-Verursacher gehören bislang aber nicht zu den Unterzeichnern.

So überrascht es kaum, dass 2022 die globalen Methanemissionen weiter gestiegen sind – wiederum deutlich schneller als im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Die Zuwachsrekorde in den beiden Vorjahren wurden 2022 aber nicht übertroffen.

Klimaforscher*innen der Technischen Universität in Singapur könnten eventuell die Ursache für die rasant zunehmende Methankonzentration in der Erdatmosphäre herausgefunden haben.

Die Kernaussage ihrer dazu im Sommer 2022 veröffentlichten Studie lautet: Die Selbstreinigungskraft der Atmosphäre ist zunehmend überfordert, weil sie immer mehr Luftschadstoffe – insbesondere durch die großflächigen Waldbrände der letzten Jahre in Australien, Sibirien und Nordamerika – bewältigen muss. Deshalb wird weniger Methan als früher aus der Luft herausgefiltert. Sollte sich dieser wissenschaftliche Befund in der Klimaforschung bestätigen, wird sich die Erderwärmung in den kommenden Jahren zusätzlich beschleunigen.

Neben der steigenden CO2-Konzentration in der Atmosphäre zeigt auch der Rekordzuwachs von Methan, dass die Menschheit in eine immer gefährlichere Klimakrise schlittert.

Das betrifft besonders die sogenannten Kipppunkte im Klimasystem unseres Planeten.

Kipppunkte – die „known unknowns“ in der Klimaforschung

Kippelemente und Kipppunkte im Erdklima sind erst nach der Jahrtausendwende entdeckt worden. Sie gelten in der Klimaforschung bis heute als „known unknowns“, als „bekannte Unbekannte“. Was ist unter diesem Begriff aus der Risikowissenschaft zu verstehen?

Bei den Kippelementen handelt es sich um über ein Dutzend zentraler Bausteine im Klimagefüge der Erde, die im Verbund seit Jahrtausenden für Klimastabilität sorgen. Verändert sich einer davon, dann hat das zumindest starke Auswirkungen auf das regionale Klima und bei der Mehrzahl der Bausteine sogar für das gesamte globale Klimasystem.

Die meisten dieser Klimabausteine können relativ überraschend in einen neuen Zustand kippen, und ihre Veränderung lässt sich nicht mehr rückgängig machen.

Ein Kippelement sind zum Beispiel die arktischen Permafrostgebiete. Flächenmäßig riesige Regionen mit Permafrostböden gibt es vor allem in Sibirien, Alaska und Nordkanada. Sie sind ein Überbleibsel der letzten Eiszeit und machen 20 bis 25 Prozent der Landflächen der Erde aus.

Teile der arktischen Permafrostzonen tauen seit einiger Zeit auf. Mancherorts mit verblüffenden Folgen für das Landschaftsbild: Mal entstehen großflächige geometrische Bodenreliefs, mal gewaltige kreisrunde Krater oder bizarr anmutende Erdabrutsche.

Ist der Permafrostboden bis zu einer bestimmten Tiefe aufgetaut, wird er im Winter durch die Schneedecke davor geschützt, erneut vollständig zu gefrieren. Dann zersetzt sich in der aufgetauten Schicht allmählich der seit Urzeiten gespeicherte Kohlenstoff und entweicht als CO2 und Methan in die Atmosphäre. Zudem können aufgetaute Permafrostböden mit der Zeit austrocknen und in Brand geraten.

Alle diese Prozesse verstärken die Erderwärmung und sorgen für einen längeren Sommer mit höheren Temperaturen. Dies wiederum treibt das Auftauen der Böden, den Ausstoß von Treibhausgasen und die Brandgefahr weiter voran – und bildet im Prinzip einen Teufelskreis, besonders wenn man bedenkt, dass die Klimaerwärmung in der Arktis in den letzten 40 Jahren fast viermal höher war als im globalen Durchschnitt. Zu diesem Ergebnis kam eine im Sommer 2022 veröffentlichte Studie von Wissenschaftler*innen aus Norwegen und Finnland.

Die Kältezonen der Erde bergen die größten Risiken für Klimakipppunkte. Das belegt eine im Herbst 2022 erschienene Untersuchung der britischen Universität Exeter, an der ein internationales Forscher*innenteam mitwirkte.

Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass wahrscheinlich bereits bei einer mittleren Erderwärmung von 1,5 bis 2 Grad Celsius das Grönland-Eis, das Barents-Meereis und der westantarktische Eisschild abschmelzen, die Zirkulation im Labrador-Meer kollabiert sowie die borealen Permafrostböden auftauen. Wahrscheinlich werden dann auch die tropischen Korallenriffe absterben.

Wie lässt sich die Erderwärmung abbremsen?

Das Patentrezept zum Eindämmen der Klimakrise ist die rasche Reduktion der vom Menschen verursachten Treibhausgase und dabei besonders der Kohlendioxidemissionen.

Um die Erderwärmung auf höchstens 1,5 Grad Celsius – dem optimalen Ziel des Pariser Klimavertrags – zu begrenzen, müssten in einem ersten Schritt die weltweiten CO2-Emissionen sowie die übrigen Treibhausgase bis 2030 fast halbiert werden. Das hat der Weltklimarat in seinem aktuellen sechsten Sachstandsbericht festgestellt.

Derzeit ist das höchst unwahrscheinlich, denn 2022 war der weltweite Kohlenstoffdioxid-Ausstoß so hoch wie noch nie. Laut der Internationalen Energieagentur IEA erreichten vergangenes Jahr die energiebedingten CO2-Emissionen mit 36,8 Milliarden Tonnen einen neuen Höchststand.

Und dieses Jahr verzeichnen amerikanische Klimawissenschaftler*innen einen beschleunigten Anstieg der CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre. Anfang Juni 2023 meldete die US-Klimabehörde NOAA den dritthöchsten CO2-Zuwachs innerhalb eines Jahres seit Beginn der Messungen. Betrug die CO2-Konzentration im Mai 2022 im Monatsdurchschnitt noch 421 ppm, so waren es ein Jahr später 424 ppm.

Damit ist die für das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels erforderliche Halbierung der weltweiten CO2-Emissionen bis Ende dieses Jahrzehnts weiter denn je in die Ferne gerückt.

Obendrein müssten viel schneller als bisher wirksame Methoden zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre entwickelt werden und zum Einsatz kommen, und die Welt bis 2050 vollständig klimaneutral werden.

Erstmals ein einzelnes Jahr mit einer globalen Durchschnittstemperatur, die 1,5 Grad Celsius höher liegt als im Industriezeitalter zwischen 1850 bis 1900, könnte es laut einer Klimamodellrechnung der britischen Wetterbehörde Met Office mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent bereits bis 2027 geben.

Die globale Erwärmung wird daher so gut wie sicher noch vor Ende dieses Jahrzehnts – zunächst vorübergehend – die 1,5-Grad-Grenze des Pariser Abkommens erreichen, sofern die CO2-Emissionen und der Ausstoß anderer Treibhausgase in den kommenden Jahren nicht drastisch sinken.

Das Wetter spielt weltweit immer öfter verrückt

Einzelne Extremwetterereignisse und Temperaturrekorde lassen keinen eindeutigen Rückschluss auf die Erderwärmung als Ursache zu. Aber ihre weltweite Zunahme in den letzten Jahrzehnten lässt auf diesen Zusammenhang schließen.

Die Verbindung von Wetter und Klima lässt sich mithilfe der sogenannten Attributionsforschung sogar wissenschaftlich nachweisen. Dieses Teilgebiet der Klimawissenschaft ist erst vor wenigen Jahren entstanden. Es bestimmt im Nachhinein mit statistischen Methoden, um wie viel wahrscheinlicher ein Extremwetterereignis durch die Klimaerwärmung geworden ist.

Aber auch ohne wissenschaftliche Nachweise merken die Menschen überall auf der Welt: Wetter und Temperaturen schlagen immer häufiger unheilvolle Kapriolen. Da genügt ein Blick auf die vergangenen Monate:

  • In der ersten Januarhälfte gab es in Kalifornien heftige Winterstürme und die stärksten Regenfälle seit 150 Jahren. US-Präsident Biden erklärte den Bundesstaat zum Katastrophengebiet. In den extremen Unwettern starben 19 Menschen. Ende Januar verzeichnete die neuseeländische Millionenmetropole Auckland die stärksten Regenfälle seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Binnen eines Tages fiel dort so viel Regen wie normalerweise im ganzen Sommer. Ganze Wohnviertel wurden überschwemmt, mehrere hundert Häuser unbewohnbar, vier Menschen ertranken in den Fluten.
  • Mitte Februar wurde der Norden Neuseelands erneut von extremen Unwettern heimgesucht: Der Zyklon „Gabrielle“ verursachte so verheerende Fluten und Sturmschäden, dass die Regierung den Nationalen Notstand ausrief. Elf Menschen kamen in dem schwersten Tropensturm in Neuseeland seit Jahrzehnten ums Leben.
  • Ende Februar und im März zerstörte der Tropensturm Freddy in Malawi, Mosambik und Madagaskar tausende von Häusern und forderte Hunderte Menschenleben. Der Sturm wütete mehr als einen Monat und war nach Angaben der Weltwetterorganisation der am längsten andauernde Zyklon seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.
  • Eine extreme Hitzewelle erfasste Mitte April mehrere Länder in Südostasien. In Thailand wurde mit 45,4 Grad Celsius ein neuer Allzeitrekord gemessen. Neue Hitzerekorde für April verzeichneten Ende des Monats die meisten Wetterstationen des spanischen Wetterdienstes AEMET. Spitzenreiter bei den Gradzahlen war Cordoba in der Region Andalusien. Dort sprang die bisherige Rekordmarke von 34,0 Grad Celsius aus dem Jahr 2017 auf 38,8 Grad.
  • Anfang Mai verursachte in Myanmar und Bangladesch der stärkste Wirbelsturm seit mehr als einem Jahrzehnt schwere Verwüstungen. Dabei kamen rund 400 Menschen ums Leben. Mitte Mai war die bis dahin dürregeplagte nordostitalienische Region Emilia-Romagna von den heftigsten Überschwemmungen seit Menschengedenken betroffen. Binnen einer Woche fiel so viel Regen wie sonst in einem halben Jahr. Mehr als 36.000 Menschen wurden vorübergehend evakuiert, 15 Menschen ertranken in den Fluten.

Klima-Daumenschraube statt Klimakatastrophe

In Medienberichten zur Klimakrise wird häufig die Klimakatastrophe, der Klimakollaps oder die existenzielle Bedrohung der Menschheit heraufbeschworen. Für solche plakativ schwarzmalende Prognosen gibt es aber weder wissenschaftliche Belege noch sind sie plausibel.

Denn eine globale Klimakatastrophe oder gar das Ende der menschlichen Zivilisation geschähe nicht plötzlich, sondern würde sich lange vorher abzeichnen. Als Folge entstände weltweit bei immer mehr Menschen, insbesondere jüngeren, eine wachsende Verunsicherung bis hin zur Zukunftsangst.

Welche politischen Reaktionen wären wahrscheinlich, wenn die menschliche Zivilisation immer offensichtlicher auf einen Klimakollaps zusteuerte?

Ähnlich wie bei der Rettung des Euro im Jahr 2012 durch die Europäische Zentralbank unternähme bei einer heraufziehenden Klimakatastrophe die internationale Staatengemeinschaft vermutlich ebenso „alles Notwendige“, um diese Bedrohung abzuwenden – gemäß den drei legendären Draghi-Worten „whatever it takes“.

Im Mittelpunkt könnte dabei das sogenannte „solar geoengineering“ stehen. Damit bezeichnen Klimaforscher*innen Eingriffe in die Erdatmosphäre, die die Sonneneinstrahlung reduzieren und so einen Abkühlungseffekt bewirken. Ein US-Unternehmen hat 2022 dazu erstmals in der Geschichte und unbemerkt von der Weltöffentlichkeit einen praktischen Feldversuch unternommen.

Fast alle Klimafachleute bewerten „solar geoengineering“ wegen unvorhersehbarer Nebenwirkungen auf das Ökosystem der Erde und das regionale Wettergeschehen als äußerst riskant. Manche finden sogar, am Weltklima zu schrauben, sei geradezu verrückt.

Vorläufig dürfte „solar geoengineering“ eine sehr umstrittene Idee bleiben, denn nichts  deutet darauf hin, dass dem Planet Erde in Sachen Erwärmung eine Katastrophe bevorsteht. So lange die Menschheit wie gewohnt Treibhausgase emittiert und keine Klimakipppunkte überschritten werden, wird sich die Klimakrise lediglich immer weiter verschärfen – was dramatisch genug ist.

Denn Extremwetterereignisse wie etwa Hitzewellen, Dürren, Hagelschläge, Starkregen und Überschwemmungen treten immer häufiger und kraftvoller auf. Für davon betroffene Menschen bedeutet das mindestens Erschwernisse im Lebensalltag, oft aber auch Leid und materielle Schäden bis hin zum Verlust ihrer Lebensgrundlagen und in Extremfällen ihres Lebens.

Die  sich verschärfenden Wetterextreme führen außerdem zu immer größeren volkswirtschaftlichen Verlusten, zum Beispiel durch Missernten, Flutkatastrophen und Naturschäden. Hinzu kommen immer höhere Kosten für Anpassungsmaßnahmen an die globale Erwärmung wie etwa höhere Deiche wegen des ansteigenden Meeresspiegels oder Schutzmaßnahmen gegen Waldbrände.

Die Menschheit steckt gewissermaßen in einer Klima-Daumenschraube, die von der Erdatmosphäre aufgrund ihrer physikalischen Gesetze immer fester angezogen wird. Je mehr Treibhausgase die Atmosphäre aufnimmt, desto weiter schreitet die Erderwärmung voran, und desto größere Schäden erleiden Mensch und Natur.

Der Druck der Klima-Daumenschraube, den die Menschheit und die weltweite Natur immer schmerzhafter zu spüren bekommen, nimmt erst dann nicht mehr zu, wenn die Weltbevölkerung keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre entsorgt.

Der Menschheit läuft die Zeit davon

Gemäß dem Pariser Klimaabkommen haben die meisten Länder der Welt erklärt, in einigen Jahrzehnten klimaneutral zu sein. Mit der praktischen Umsetzung dieses Ziels ist bisher aber kaum ein Land entschlossen genug aus den Startlöchern gekommen.

Auch die im Klimaabkommen vereinbarte Begrenzung der Erderwärmung am besten auf 1,5 Grad erweist sich inzwischen als kaum noch erreichbar. Der Weltklimarat stellte im März 2023 fest, dass die Welt derzeit auf eine globale Erwärmung um 2,1 bis 3,4 Grad Celsius zusteuert.

Die große Kluft zwischen den Zielen und der Umsetzung des Pariser Abkommens bestätigte kurz davor auch eine Studie der Stanford University in Kalifornien. Klimadaten im großen Umfang wurden dabei erstmals mithilfe künstlicher Intelligenz ausgewertet. Der Studie zufolge wird die 1,5-Grad-Marke in der ersten Hälfte des nächsten Jahrzehnts überschritten, und die Zwei-Grad-Grenze könnte ab Mitte dieses Jahrhunderts gerissen werden.

„Gegenwärtig ist der Klimawandel schneller als wir“, mahnte UN-Generalsekretär António Guterres bereits 2019. Daran hat sich bis heute wenig geändert, außer dass der Zeitdruck für die Aufholjagd gestiegen ist. Denn keine Klimaforscher*in kann verlässlich vorhersagen, wie viele Jahre uns noch bleiben, um den am Horizont aufziehenden, desaströsen Kipppunkten im Klimasystem zu entgehen.

Abgesehen davon nehmen mit jedem Zehntelgrad zusätzlicher Erderwärmung auch die Klimaschäden zu. Das Rennen gegen die Aufheizung der Erdatmosphäre durch kleine Fortschritte erst langfristig zu gewinnen, könnte daher für einen Großteil der Menschheit und für die weltweite Natur kaum weniger katastrophale Auswirkungen haben als es zu verlieren.

Je stärker der Mensch durch seine Treibhausgasemissionen das Erdklima aufheizt, umso tiefgreifender verwandelt er die früher einmal als „blauer Planet“ bewunderte Erde in eine versehrte Erde. Und die schlägt – wahrlich im doppelten Sinne des Wortes – immer wütender mit Dürren, Hitzewellen, Überflutungen, Orkanen, Waldbränden zurück.

Wie etwa im Sommer 2021 mit einer von Klimawissenschaftler*innen bis dahin für unmöglich gehaltenen „Hitzekuppel“ im amerikanischen Nordwesten und in Westkanada. Meteorolog*innen bezeichneten das Wetterphänomen als verrückten „freak event“.

Während der einwöchigen Hitzewelle wurden die bisherigen Temperaturrekorde an den meisten Wetterstationen gleich um mehrere Grad Celsius übertroffen. Der Rekordhitze fielen rund tausend meist ältere Menschen zum Opfer.

Knapp zehn Monate später verzeichneten Klimaforscher*innen erneut einen „freak event“, diesmal am Kältepol der Erde, der rund 1 300 Kilometer östlich des Südpols liegt. Wo sonst im März der Durchschnittswert -53 Grad Celsius beträgt, registrierte das Team der russischen Wostok-Forschungsstation Mitte März -17,7 Grad Celsius als Höchstwert. Diese Temperatur lag rund 15 Grad über dem alten Märzrekord.

Ein französischer Klimaforscher sagte dazu der „Washington Post“: „Dieses beispiellose Ereignis hat unsere Annahmen über das antarktische Klimasystem auf den Kopf gestellt.“

Kommen angesichts der erlebten, krassen Wetterextreme in Nordwestamerika und am Südpol künftig weitere, unvorhergesehen heftige Extremwetterereignisse auf uns zu?

Das UN-Umweltprogramm liefert in seinem letzten Emissions-Sachstandsbericht über den bildhaften Titel „The Closing Window“ indirekt die Antwort: Wie der Wettlauf der Menschheit gegen die rasant fortschreitende Erderwärmung am Ende ausgeht, wird sich in diesem Jahrzehnt vorentscheiden.

Und wohl nur die massive und vor allem rasche Verminderung der globalen Treibhausgasemissionen kann das Rennen zugunsten der Menschheit drehen.

Links

  • Globaler Temperaturanstieg seit 1850-1900: Global Temperature Report for 2022, Berkeley Earth, Kalifornien, USA
  • Globaler Temperaturanstieg seit 1850-1900: Bericht „United in Science“ der Weltwetterorganisation WMO, Genf, Schweiz
  • Hochrechnung der aktuellen globalen Erwärmung: Environmental Change Institute der Universität Oxford, Großbritannien
  • Aktuelle CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre (7-Tage-Durchschnitt) und aktuelle Tendenz des globalen CO2-Zuwachses (2-Jahres-Durchschnitt): Matthew Shribman/ Cambridge Zero der Universität Cambridge, Großbritannien
  • Langjährige Entwicklung der CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre: 2 Degrees Institute, Sechelt, British Columbia, Kanada
  • Keeling-Kurve und CO2-Konzentration am Observatorium Mauna Loa auf Hawaii: Scripps Institution of Oceanography der Universität von Kalifornien, San Diego, USA
  • Aktuelle CO2-Messergebnisse der NOAA-Forschungsstation Mauna Loa auf Hawaii: Global Monitoring Laboratory der Klimabehörde NOAA, Boulder, USA
  • Neuer Rekord der CO2-Konzentration in der Atmosphäre: Pressemitteilung der Klimabehörde NOAA, Boulder, USA
  • CO2-Konzentration und Begrenzung der Erderwärmung: How the Keeling Curve will need to bend to limit global warming to 1.5 °C, Klimajournalismus-Webseite CarbonBrief, London, Großbritannien
  • Kippelemente im Klimasystem der Erde: Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) e. V., Potsdam
  • Globale CO2-Emissionen 1850-2021: Internet-Plattform climatewatch des World Resources Institute, Washington DC, USA
  • Vergleich der CO2-Emissionen zwischen den Perioden 1751-1990 und 1991-2021, IEEP Institute for European Environmental Policy, Brüssel, Belgien
  • CO2-Emissionen 1750-2021 global und nach Verursacherländern: Our World in Data based on the Global Carbon Project, Universität Oxford, Großbritannien
  • Wann die Erderwärmung 1.5 bzw. 2 Grad Celsius wahrscheinlich überschreitet: Mitteilung zu einer mit künstlicher Intelligenz erstellten Studie der Stanford University, USA
  • Pessimistisch oder realistisch? Der Schriftsteller Jonathan Safran Foer über die Klimakrise: Sternstunde Philosophie des SRF Schweizer Radio und Fernsehen